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Titel
Natur-Geschichte. Das Naturhistorische Museum Basel im 19. und 20. Jahrhundert


Autor(en)
Simon, Christian
Erschienen
Basel 2009: Christoph Merian Verlag
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marianne Sommer, Seminar für Kulturwissenschaften und Wissenschaftsforschung, Universität Luzern

Museen sind zum Gegenstand zahlreicher Disziplinen geworden. Ihre Geschichte ist eng verbunden mit der Herausbildung von Öffentlichkeiten, der Bildungsexpansion und anderen Modernisierungs- und Urbanisierungsprozessen sowie mit der europäischen Expansionsgeschichte. Sie widerspiegeln die sozialen und intellektuellen Ordnungen ihrer Zeit und sind als Orte der gesellschaftlichen Selbst- und Fremdinszenierung von grossem Interesse für die Kultur- und Sozialwissenschaften.

Insbesondere die naturkundlichen Sammlungen und Museen sind zum beliebten Untersuchungsgegenstand der Wissenschaftsgeschichte avanciert. So lässt sich etwa die Rolle aufzeigen, die sie für die Entwicklung der Evolutionstheorie gespielt haben. 1 Mit der Hinwendung zu den materiellen und praktischen Aspekten der Wissenschaftsgeschichte sind die Sammelpraktiken und die Objekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt – im anglophonen Raum etablierte sich gar die Zeitschrift Journal of the History of Collecting. Die Analyse von Sammlungsgeschichten gibt Einblick in die sozialen Strukturen und Rituale, die Museen auszeichnen, in die dort verkörperten Ambitionen und wissenschaftlichen und weltanschaulichen Vorstellungen. Sammlungsgeschichten und Objektbiographien sind mit National- und Kolonialgeschichte verknüpft und insbesondere anthropologische Sammelstücke sind mittlerweile zu umkämpften Objekten geworden. 2

Als heterogene Institutionen, an denen unterschiedliche Akteurgruppen zusammentreffen, sind Museen wichtige Quellen einer allgemeinen Wissensgeschichte. Naturhistorische Museen mussten und müssen unterschiedlichen und mitunter gegenläufigen Anforderungen gerecht werden, der wissenschaftlichen Sammlung und Forschung sowie der Wissensvermittlung an ein Laienpublikum. Museen sind nicht nur Arbeitsorte für WissenschaftlerInnen, sie sind Orte der sozialen und schulischen Auseinandersetzung mit Wissenschaft. Die Geschichte von Museumsprogrammen – den wissenschaftlichen und erzieherischen Missionen – und die Art und Weise, wie diese in Ausstellungen umgesetzt werden, sind daher genauso wichtige Untersuchungsgegenstände wie die Besuchererfahrungen. Umgekehrt sagen bereits die Museumsgebäude etwas über die Vorstellungen der Rolle der Wissenschaften im öffentlichen Leben aus. Naturkundemuseen sind keine abgeschlossenen Einheiten. Sie stehen in institutioneller Vernetzung etwa mit dem Schul- und Universitätssystem, mit Regierungen und Verwaltungen, mit Geldgebern, akademischen Gesellschaften und Zoos.

Christian Simon reiht sich mit seiner Geschichte des Naturhistorischen Museums Basel vom frühen 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts in dieses Forschungsfeld ein. Im Zentrum steht die Entwicklung der Naturgeschichte im Dreieck Museum–Universität–Staat. Ausgehend von der Figur Peter Merians rollt Simon diese Geschichte in erster Linie über die beteiligten Personen auf. Dabei zeigt er die prägende Kraft eines «konservativen Modernismus» – des Wunsches, zu einer Modernisierung beizutragen, ohne der traditionellen Werte verlustig zu werden – genauso auf wie das starke christliche Fundament der Balser Naturgeschichte. Eine als fortschrittlich verstandene Zoologie, Geologie, Paläontologie und Anthropologie, die aber auf einem holistischen und metaphysischen Naturverständnis basierten, wurden bis weit ins 20. Jahrhundert einer materialistischen Wissenschaft und Weltschau entgegengestellt. So verstand etwa Adolf Portmann den Evolutionsprozess im Sinne der allgemeinen Krise der darwinschen Evolutionstheorie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als inhärent sinnvoll und durch das Verhalten von Organismen gesteuert. Dieser nicht-darwinistische und auch nicht-sozialdarwinistische Ansatz liess sich in den 1940er Jahren in ein Argument gegen den Biologismus einer antidemokratischen Rechten ausweiten.

Weiterhin zeigt Simon die Entwicklung des Museums im oben genannten Dreieck auf, wobei er der Einschätzung des Museumsdirektors Hans Schaub von 1967 folgt. Während das Museum zu Beginn die naturhistorische Forschung mit der universitären Ausbildung über die Sammlungen verband, kam es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Schwächung der Beziehungen zwischen Museum und Universität, indem die Sammlungsverantwortlichen nicht notwendigerweise Universitätsprofessoren, sondern eher Privatgelehrte waren. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Wissenschaftler und Techniker schliesslich als Staatsangestellte gewählt.

Als universaler Tempel des Wissens konzipiert, verlor das Museum im Verlaufe des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts die Physik und Chemie, die mittelalterliche und antiquarische Sammlung und die Bibliothek. Bis 1928 beherbergte das Basler Museum noch eine Kunstsammlung. Auch wenn es in diesen Entwicklungen anderen urbanen Museen in Amerika und Europa hinterherhinkte, so hat auch das Basler Naturhistorische Museum eine Modernisierung durchgemacht, die unter anderem die Trennung von Sammlung und Ausstellung, die Professionalisierung des Personals und die Differenzierung der Wissensgebiete sowie die stärkere Ausrichtung der Ausstellungen an wissenschaftliche, pädagogische und unterhaltungsrelevante Kriterien beinhaltete.

Ebenfalls verspätet traf in Basel die neue Biologie ein, die nach Simon erst ab den 1970er Jahren eine teilweise Zurückdrängung der naturhistorischen Fächer bewirkte. Allerdings bedeuten die jüngsten Entwicklungen wie die Molekularisierung der Taxonomie und Systematik und der Evolutions- und Populationsforschung sowie die Ausrichtung auf Biodiversität eine Aufwertung von Museen als «Archive» biologischer und damit auch genetischer Vielfalt.

Simons Buch gewährt einen wertvollen Überblick über die Forschungs- und Institutionsgeschichte des Naturhistorischen Museums Basel. Wie der Autor selber feststellt, geht die grosse Skizze auf Kosten kultur- und wissenshistorischer Aspekte wie der Sammeltätigkeit, der konservatorischen und präparatorischen Praxis, der Ausstellungspolitik und -arbeit sowie der Besucherrezeption, aber auch der Geschichte und Bedeutung des Museumsgebäudes und der kulturhistorischen Einbettung. Das Buch bietet lediglich verstreute und kurze Einblicke in diese Bereiche, etwa in die zögerliche Einführung von Dioramen, die Expeditionen der Privatgelehrten Fritz und Paul Sarasin oder in die Verbindung zwischen Ölindustrie und Paläontologie. Eine kritische und kontextualisierte Auseinandersetzung mit den anthropologischen Arbeiten der Vettern Sarasin oder von Ludwig Rütimeyer fehlen weitgehend. Schliesslich wäre es interessant gewesen, etwas mehr über die Bedeutung des Bindestrichs in Natur-Geschichte zu erfahren, der nach Simon auf die «metaphorische Anlehnung an die Leitwissenschaft Geschichte » (S. 15–6) verweist.

1 Vgl. etwa: Anke te Heesen, «Sammlungen und Museen», in: Philipp Sarasin, Marianne Sommer (Hg.), Evolution: ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010, S. 141–145.
2 Vgl. Ciraj Rassool, «Knochengedächtnis: Menschliche Überreste, Recht und National Heritage in Südafrika», in: Marianne Sommer, Gesine Krüger (Hg.), Biohistorische Anthropologie. Knochen, Körper und DNA in Erinnerungskulturen, Berlin 2011 (in Erscheinung).

Zitierweise:
Marianne Sommer: Rezension zu: Christian Simon: Natur-Geschichte: das Naturhistorische Museum Basel im 19. und 20. Jahrhundert. Basel, Christoph Merian Verlag, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 488-490.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 488-490.

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